Die Verbindung zwischen der abstrakten expressionistischen Malerei und dem Jazz erklärt sich von selbst: beide kommen zum großen Teil von der Improvisation her. Angefangen hat es in New York in den vierziger und fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Als es zu einem lebhaften Austausch zwischen den sogenannten ‘Actionmalern’ und den Bebop-Musikern kam, obwohl in der Tendenz eher die Musik die Malerei beeinflusste als umgekehrt.
Jazzmusiker improvisierten bereits seit Jahrzehnten: der spontane Ausdruck in der Malerei aber war vergleichsweise neu. Künstler wie Willem de Kooning und Franz Kline konnte man oft in Nachtclubs wie dem Five Spot und dem Village Gate finden – hier suchten sie Inspiration in der Musik von Jazzern wie John Coltrane, Theolonius Monk und Charles Mingus.
Das musikalische Bindeglied zieht sich bis in die Gegenwart hinein und zeigt sich in der Arbeit der zeitgenössischen deutschen Malerin Lisa Lyskava, die beim Malen in ihrem Studio häufig Jazz hört und deren Einzelausstellung ‘The Sound of Color’ in den Gelabert Studios International Art Gallery, 255 West 86th Street (am Broadway) vom l0. November bis 2.Dezember zu sehen ist.
Zu einer Zeit, da andere deutsche Neoexpressionisten wie Jörg Immendorf und A.R. Penck zu ihren Wurzeln im Figurativen zurückgekehrt sind, bleibt Lisa Lyskava der Abstraktion treu. Obwohl sie erst seit gut zehn Jahren ausstellt, blickt sie mittlerweile auf mehr als 50 Einzelausstellungen zurück sowie auf zahlreiche Gruppenausstellungen in Europa und den Vereinigten Staaten. Eine ihrer bedeutendsten Präsentationen fand l998 statt, als das deutsche Konsulat seinen neuen Sitz in der UN Plaza mit einer Ausstellung ihrer Bilder einweihte.
In ihrer neuen Einzelausstellung in den eleganten Räumen der Gelabert Studios wird Lyskavas Beziehung zum Jazz in der verschwenderischen Fülle ihrer Kompositionen wie auch in vielen ihrer Titel offenkundig. Da ist zum Beispiel die große Leinwand ‘Jazzing up’. Wie alle ihre Bilder ist es in Mischtechnik ausgeführt. In der Hauptsache arbeitet Lyskava mit Acryl und verbindet es mit Collage-Elementen. Letztere sind häufig Ausschnitte bemalter Leinwand, die sie aus anderen, verworfenen Bilder herausgerissen und ‘recycled’ hat. Oder die Künstlerin benutzt das Material, aus dem man Gipsverbände macht, das hart wird, wenn man Wasser zugibt. Gelegentlich mischt sie auch Ölfarben ins Acryl, um besonders reiche farbliche und strukturelle Effekte zu schaffen.
Ebenso wie ihr Schaffensprozess neben mehr absichtlichen, wohlüberlegten Techniken auf Improvisation beruht, hat Lyskava in Kompositionen, die häufig über einen Zeitraum von Monaten oder gar Jahren entstehen, im Wesentlichen zwei Malweisen: Sie wechselt zwischen gestischen Leinwänden – bemerkenswert wegen ihrer schwungvollen Rhythmen – und Farbfeldkompositionen, in denen farbliche Subtilität Vorrang hat vor formaler Definition. „Jazzing up’ gehört zur ersten Art mit seinen kühnen weißen und gelben linearen Formen, die über einen tiefblauen und purpurfarbenen Grund laufen und aussehen, als wäre die Farbe ausgegossen wie in den Bildern von Jackson Pollock. Lyskavas Formen sind jedoch eher vom Malgrund abgehoben als über die gesamte Fläche ausgebreitet: deutlich und dramatisch stehen sie gegen die körnige Textur des dunklen Grundes. Drehen und wenden sich in geschmeidigen Konfigurationen, die ein freudiges Empfinden von Energie widerspiegeln.
Ein ausgezeichnetes Beispiel für Lyskavas andere Malweise ist das etwas kleinere Bild ‘Flourish’. In dem ein strahlend gelbes Feld belebt wird von winzigen roten und blauen Strichen, die einen schwirrend neopointillistischen Effekt bewirken Auf dieser Leimwand schafft Lyskava eine exquisite Spannung zwischen dem Material/Materiellen und dem Ätherischen/Nicht-Materiellen. Indem sie dicke greifbare Pigmentkonzentrationen setzt, um das Schimmern des Lichts zu vermitteln. Das Texturfeld scheint seine eigene Physikalität zu leugnen, was eine dieser magischen Widersprüchlichkeiten zur Folge hat, die die Kunst der Malerei so unendlich faszinierend machen.
Lisa Lyskava ist eine besondere Könnerin dieser Art visueller Fingerfertigkeit. Denn sie ist eine abenteuerliche Experimentiererin, deren Risikofreudigkeit häufig zu intuitiven Entdeckungen führt, die aufregend schön sein können, wie auf einer anderen großen Leinwand, „Indian Summer’ genannt, wo sie Elemente beider Malweisen vereint, um eine Komposition von bemerkenswerter Leuchtkraft und Lichthaftigkeit zu erreichen. ‘Indian Summer’ ist vor allem ein Fest, ein Sinnenrausch, ein farbiger Trubel in hohen Frequenzen, wo unterschiedliche fluorescente Nuancen mit grellem Gelb zusammenprallen – feurig glühende Rot-, Orange-, Violett- sowie Blautöne, die einem vor elektrisierender Intensität die Haare aufstehen lassen! Dabei ist es auch eine energiegeladene, zielstrebige Komposition, bemerkenswert in ihrer rhythmischen Kraft wie auch in ihrer Farbqualität.
Geschaffen aus Acryl, Öl und einem Touch Kreide, ist die Oberfläche gekratzt und geritzt und enthüllt übereinander geschichtete Komplexitäten: herrliche Kontraste von Transparentem und Opakem, von Undurchdringlichkeit und wieder sichtbar gewordenen Untermalungen, die die Sinnlichkeit des Betrachters evozieren, man könnte fast sagen, zum Prickeln bringen. Mit seinen erregend heißen Tönen, seiner mutig expansiven Komposition und den zahlreichen strukturellen Elementen – einschließlich großer Klumpen eines Schwamms, die die Künstlerin zum Auftragen der Farbe benutzte und schließlich der Oberfläche überließ (als wären sie ihr buchstäblich aus der Hand gerissen und von der Leinwand beansprucht worden im Laufe des Malens!) – ist dies eine herausragend beeindruckende Tour de Force.
Als Kontrast ist ‘Von Zeit zu Zeit’ ein Tribut an den großen Jazztrompeter Miles Davis, angelegt in gedämpften Blautönen, mit einer horizontalen Komposition, die beinahe eine Landschaft nahe legen könnte, dann aber gleich wieder eine solch spezifische Festlegung auflöst durch ihre formale Strukturlosigkeit. Wie die Musik des Mannes, der es inspirierte, ist dieses Bild besessen von exquisiter Sparsamkeit und einem poetischem Lyrizismus, der in scharfem Kontrast steht zu Lyskavas mehr fieberhaften Leinwänden, sie aber ergänzt.
Andere Bilder wie ‘Lied der Venus’, ‘Time out’ und ‘Crossing the Line’ stellen verschiedene andere Facetten dar von Lisa Lyskavas meisterhafter Beherrschung, Musikalisches sichtbar zu machen. Während ihr malerisches Feuerwerk eine Palette von winkelartigen Strichen die an Kline oder Kooning erinnern, bis hin zu saftigen Impastos und lebhaften Farben umfasst, wie wir sie von Hans Hofmann kennen, ruft ihre reine Freude am Improvisieren und ihre melodische Art des Umgangs mit Form und Farbe uns auch musikalische Künstler wie Charlie Parker, Art Tatum und Eric Dolphy in den Sinn. In der Tat: ‘The Sound of Color’ ist ein gelungener Titel für diese Ausstellung einer Malerin, deren musikalische Inspiration jeden einzelnen ihre Pinselstriche zu untermalen und zu bereichern scheint.
J. Sanders Eaton , Gallery & Studio, New York, November/Dezember 2000