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...Lisa Lyskava feiert die Farbe. Die meisten ihrer Arbeiten beeindrucken durch ungewöhnliche Farbfülle. (2)

Mit außergewöhnlichem Farbenmut hält sie die Spannung zwischen einem harmonischen Farbgefüge und massiven Brüchen desselben...

Eröffnungsrede “Doors to Perception”
Connoisseurs’s Gallery, Paris 14.09.2002

Kirsten Xani und Regina Selter (FRZ.), Kunsthistorikerinnen

Sehr verehrte Damen und Herren,
Liebe Freundinnen und Freunde,
Liebe Lisa Lyskava,
Nach vielen Ausstellungen in Deutschland, der Schweiz und den USA ist die Ausstellung “Doors to Perception” hier in Paris ein weiterer Meilenstein von Lisa Lyskavas künstlerischer Karriere auf dem internationalen Parkett. Eine internationale Sprache spricht auch die abstrakte, gestisch-informelle Malerei der Künstlerin. Besonders schön ist, dass die heutige Eröffnung hier in Paris stattfindet, weil in den 1950er Jahren die künstlerische Strömung, das Informel oder auch “un art autre” in Paris ihren Ausgang nahm. Künstler wie Jean Fautier, Georges Mathieu und der deutsche Emigrant Wols traten an, um einen Neuanfang der Bildkunst nach dem Zweiten Weltkrieg zu formulieren. Wieder hieß das Stichwort “Befreiung”. Befreiung von der Regel, vom Formalismus und der Last der Traditionen. Es war ein Bekenntnis zur lebendig fließenden Farbe, zur impulsiven Geste und Linie und zum rohen Material.
Diese Richtung in der Malerei, das Informel, hat auch im 21. Jahrhundert nicht an Aktualität und Kraft verloren. Das das so ist, verdeutlicht nicht zuletzt die große Retrospektive zum Werk Georges Mathieus, die zur Zeit im Jeu de Paume zu sehen ist.
Das Werk Lisa Lyskavas steht in der Tradition des Informel, aber auch des Abstrakten Expressionismus der New Yorker Schule. Auch ihre Werke sind durch große Experimentierfreudigkeit, Unmittelbarkeit, Spontaneität und Offenheit gekennzeichnet. Ebenso ist ihre Malerei eine Malerei aus der Farbe und dem Gestus. Mag die Tradition des Informel vielleicht bewusste oder unbewusste Einflüsse auf ihre künstlerische Arbeit gehabt haben, Lisa Lyskava ist es gelungen, künstlerische Eigenständigkeit zu entwickeln.
Sie ist unabhängig.
Dabei hat sie drei Malweisen entwickelt. Die – vereinfacht dargestellt – drei Werkgruppen kennzeichnen und sich aber auch überlagern können:
Zum einen schafft sie materialbetonte Farbreliefs, bei der Farbe zur Materie wird und starke haptische Qualitäten erzeugt, ein Beispiel für diese Richtung in ihrer Kunst ist “Thinking of Odysseus” von 1998.
Zum anderen malt sie mit ausdrucksstarkem gestischen Schwung, wichtige Beispiele hierfür sind “Breakfree” und natürlich “That’s it”, beide aus dem Jahr 2002. Bei diesen Bildern entstehen aus Farbflächen und -schwüngen markante Farbfiguren (Breakfree), formuliert die freistehende Leinwand Spannung (That’s it). Die dritte Gruppe nehmen Farbfeldmalereien ein, in denen nuancierte Farbabstufungen mit vorsichtigen Erhebungen einen beruhigenden Bildcharakter im Gegensatz zu ihren dynamisch-gestischen Werken haben, ein eindrucksvolles Beispiel hierfür ist “Klang eines Sommers” von 2001. Eine Überlagerung der Malweisen findet sich z.B. in dem Werk “Götterdämmerung” aus dem Jahr 2002.
Lisa Lyskava feiert die Farbe. Die meisten ihrer Arbeiten beeindrucken durch ungewöhnliche Farbfülle. Mit außergewöhnlichem Farbenmut hält sie die Spannung zwischen einem harmonischen Farbgefüge und massiven Brüchen desselben, als Beispiel sei hierzu “high way” von 2001 genannt. Ihr Umgang mit der Farbe unterscheidet sie von der sonst eher üblichen farblichen Gedämpftheit in unserem Kulturkreis.
Die Farbe erhält bei ihr eine eigene plastische Präsenz: Sie wird pastos, z.T. direkt aus der Tube aufgetragen, mit Schwämmen oder unmittelbar mit den Händen eingearbeitet. Die Künstlerin vermischt Öl- und Acrylfarben sowie reine Pigmente mit anderen Materialien (z.B. dünnem Papier, Sand, recycelten Leinwandstücken). Dabei verliert sie nie die Herrschaft über das von ihr freigesetzte Material, bis zur endgültigen Form wird es von ihr bearbeitet und in Spannung zu den übrigen Elementen der Komposition gehalten.
Dieser massive Malprozess artikuliert sich z.B. in der harten, schrundigen, zerklüfteten Oberfläche von “Thinking of Odysseus”, ein Werk, bei der die einzelnen Elemente schließlich durch die freie, die Komposition bindende, leuchtend orange-gelbe Linie gehalten werden. Ein weiteres Beispiel für ihr meisterhaftes kompositorisches Können, dass sich in allen Phasen des Prozesses dem Risiko des Scheiterns aussetzt, ist “Coherant” von 2002, – in diesem Werk halten nicht Linien, sondern Farbflächen zueinander einen subtilen Spannungsbogen. Ihren Arbeitsprozess beschreibt die Künstlerin selbst als Schaffensakt “mit leidenschaftlicher Geduld”. Farbfülle und Materialität der Bilder zeugen von langwierigen – zuweilen jahrelangen – und intensiven Malprozessen.
Es wird deutlich: Lisa Lyskavas Malerei ist eine eigenwillige Mischung aus konzeptuellen, absichtsvollen Überlegungen und einem hohen Grad an Improvisation.
So erscheint es nicht verwunderlich, dass die Künstlerin beim Malen Jazzmusik hört – der musikalische Rhythmus unterstützt die spontanen und improvisierten Elemente in ihrer Kunst.
Die Künstlerin wird häufig gefragt, aus welchen Stimmungen oder Erlebnissen heraus ihre Bilder entstanden seien. Eine Frage, die im übrigen an männliche Kollegen seltener gestellt wird und zu der Lisa Lyskava ganz zurecht keine Stellung bezieht. Ihre Bilder sind für sie abstrakte Reflexionen visueller Wirklichkeit, keineswegs Zeugnis eines unmittelbaren persönlichen Erlebnisses oder gar Empfindens. So bleiben z.B. Eindrücke von Wolkenformationen, architektonische Strukturen oder Lichtreflexe auf Stahlträgern in ihrem visuellen Gedächtnis haften. Eines Tages dann fließen die Reflexe und Impulse bewusst oder unbewusst in die bildnerische Gestaltung ein und werden Bestandteil einer ästhetischen Komposition. Lisa Lyskava erfindet im Malprozess nicht nur die Farbe immer wieder neu, sondern auch die unverwechselbare Gestalt ihrer Bilder.
Die Bildtitel mit ihren poetischen Implikationen, wie “Geist der Freude”, oder mit ihren humorvollen Anspielungen auf die Kunstgeschichte, wie der Titel des Meisterwerks “C’est une pipe” von 2002, sind für sie ebenfalls Teil des Schaffensaktes.
Sie sind eine Erweiterung der gedanklichen und sinnlichen Fokussierungen während des Malprozesses und stiften die Betrachtenden zu Phantasien an.
Ihre in den Raum greifenden künstlerischen Arbeiten rufen bei uns den Wunsch hervor, durch Tasten und Berühren dem Weg der Farbe zu folgen. Die Offenheit ihrer Bilder ist von der Künstlerin gewollt und fordert von den Betrachtenden eine ebensolche Offenheit. Es sind vor allem die haptische und visuelle Wirkung des farbigen Materials, der Wechsel zwischen Farbfülle und Transparenz sowie der spontanen Gesten, die im Auge der Betrachtenden eine Fülle sinnlicher Botschaften auslösen. Lisa Lyskavas Werke regen zu intensiver Wahrnehmung und zu Phantasiereisen an. Der Facettenreichtum der Bilder führt dabei zu sehr aktiven Wahrnehmungsprozessen. Die Werke verlangen von uns Zeit, Geduld, Konzentration und Lust am Schauen. Diese Ansprache des Einzelnen, übrigens ein charakteristisches Merkmal informeller Malerei, führt auch dazu, dass die Wahrnehmungen der Bilder Lisa Lyskavas häufig verknüpft werden mit biografischen und individuellen Erlebnisinhalten der Betrachtenden. Vor dem Hintergrund von Äußerungen über individuelle visuelle Erlebnisse entstand auch der Titel dieser Ausstellung “Doors to perception”.
Nun laden die Werke Lisa Lyskavas Sie und Euch zu vielfältigen visuellen Erfahrungen ein – und wir wünschen dabei viel Vergnügen und viele spannende Erlebnisse.
Wir möchten – mit einem Seitenblick auf Paris – mit folgenden Worten Paul Cèzannes schließen: “Für den Maler sind nur die Farben wahr. Ein Bild stellt nichts dar, soll zunächst nichts darstellen als Farben.”
Wir danken Ihnen für die Aufmerksamkeit und Geduld mit der Sie diesem zweisprachigen Vortrag gefolgt sind. Unser ganz besonderer Dank gilt der Künstlerin, dafür, dass sie uns dazu eingeladen hat, an dieser außergewöhnlichen Ausstellung ein klein wenig mitzuwirken.
Kirsten Xani und Regina Selter (FRZ.), Kunsthistorikerinnen